Frauenfrühstück am 17.11.18

Wie Familienthemen in die nächste Generation wirken – Chancen und Risiken biographischer Erfahrungen

Voll besetzt war der Saal des Gemeindezentrums an diesem Samstagvormittag zu diesem hochspannenden Thema, über das die Referentin Dr. Ines Kloke in einem ausführlichen Vortrag referierte. Sie verwies zunächst auf die Existenzanalyse als eine Möglichkeit zur Reflexion unbearbeiteter Anteile der eigenen Familiengeschichte. Diese Therapieform wurde von Viktor Frankl, einem Wiener Arzt (1905-97) begründet. Sie sieht den Menschen als zur Selbstdistanzierung befähigt an. Aus dieser Haltung heraus kann er auf die Existenz-bedingungen seines Lebens blicken mit dem Ziel, ein selbstbestimmtes, wertfühlendes und menschenwürdiges Leben zu führen trotz Belastungen und vor dem Hintergrund der Wirklichkeit.

Zur Einstimmung auf das Thema forderte Ines Kloke die Teilnehmerinnen  auf, sich zu folgender Frage an den Tischen auszutauschen; „Was hat Sie im familiären Rahmen besonders beeinflusst, und zwar in positiver wie auch in negativer Hinsicht?“ Diese Frage löste bereits während des gemeinsamen Frühstücks angeregte Gespräche aus. Nachdem sich alle an dem liebevoll zubereiteten Büffet gestärkt hatten, fand die Referentin für ihren Vortrag aufmerksame Zuhörerinnen.

Im ersten Teil erläuterte Frau Kloke anhand verschiedener Beispiele aus der existenz- analytischen Therapie, wie Familienthemen oft unbewusst weitergegeben werden.Als problematisch erweist sich das Feststecken in so genannten mehrgenerationellen Schleifen. Besonders auffällig ist hier das Anstreben bestimmter Berufsbilder, beispielsweise Pastor oder Lehrer, oder auch die Weitergabe bestimmter Empfindungen. Eindrücklich ist  der Fall eines Sohnes, der unbewusst die Empfindung der Unfreiheit von seinem an den Rollstuhl gebundenen Vater übernommen hatte.Diese Unfreiheit behinderte ihn in seinem eigenen Familienleben.

Plenum Frauenfrühstück

Im zweiten Teil des Vortrags stand die transgenerationelle Weitergabe von Kriegsthemen und deren Folgen im Zentrum.Die Erlebnisse der Kriegskinder (Jahrgänge 1930-45) und deren Leiden unter den Spätfolgen werden in Sabine Bodes Buch „Die vergessene Generation“ (2004) thematisiert. Dieses Buch war der Auslöser für eine Beschäftigung mit dem Thema, zu dem seither eine Flut von Literatur erschienen ist. Unter Verweis auf dieses Werk nannte die Referentin als Folgen der Erlebnisse der Kriegskinder tiefe Verunsicherung, wenig emotionale Beziehungen, Gefühllosigkeit, Ablehnung von neuen Gedanken und Erfahrungen, Lebensangst, Bedürfnis nach materieller Sicherheit und die Unfähigkeit, über Erlebtes zu sprechen. Stärken dieser Generation sind Selbstdisziplin, Nach-vorn-Sehen und Leistungs- stärke. Die nächste Generation – Nachkriegskinder der Jahrgänge 1945-65 – hatte unter den unverarbeiteten Kriegserfahrungen ihrer Eltern häufig zu leiden. Diese Elterngeneration erwies sich oft als nicht hinreichend unterstützend, setzte auf autoritäre Erziehung und Anpassung und betäubte die eigenen seelischen Schmerzen durch Flucht in Betriebsamkeit, Alkohol und Ähnliches.Weitergegeben wurden das Einhalten strenger Regeln und Riten, Sparsamkeit, die Betonung von Ordnung und Härte gegen sich selbst. Über vergangene Leidenserlebnisse wurde nicht gesprochen. Was an Familiengeschichten weitererzählt wurde, war häufig unbewusst konstruiert. Anstelle von Zuwendung und Liebe für ihre Kinder hatten diese Eltern hohe Erwartungen und forderten von ihnen unter anderem Dankbarkeit für ihre Lebensleistung. In der Generation der Kriegsenkel (Jahrgänge 1965-75) setzt sich die generationsübergreifende Weitergabe von unbewussten Familienthemen fort. In dieser Generation fängt die eigentliche Aufarbeitung dieser Zusammenhänge und das Bewusstwerden an. „Das Scheißleben meines Vaters, meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“, ein 2012 von A. Altmann veröffentlichtes Buch zu diesem Thema, ist hierfür ein typisches literarisches Beispiel. Die Referentin sprach auch neueste Forschungen aus der Epigenetik an, die darauf hinweisen, dass bestimmte Erfahrungen auch über die Gene weitergegeben werden.

Im Anschluss an den Vortrag gab es viele Rückfragen zu diesem spannenden Thema, hilfreiche (Literatur-)Tips von der Referentin und einen langen Applaus für ihre engagierten Ausführungen.

                                                                                                          M. Füchtjohann